Grenzen und Grenzenlosigkeit – Religionspädagogische Jahrestagung entgrenzt in Inhalt und Konstellation

Aktuelles on 4 Oct , 2019
(c) Christian Brunnthaler

(c) Christian Brunnthaler

„Der Ort der Entwicklung ist das Experiment an der Grenze“: Dieser These des Religionsphilosophen Paul Tillich folgend, begab sich der Deutsche Katecheten-Verein für seine Internationale Religionspädagogische Jahrestagung vom 26. bis 29. September 2019 nach Graz, in den südöstlichen Grenzraum des deutschen Sprachgebietes, um dort gemeinsam mit der KPH Graz und ihren Partnern Grenz-Fragen nachzugehen.

Die interaktive Installation einer Grenzmauer im Festsaal der KPH begrüßte die Teilnehmenden aus Österreich, Deutschland, Südtirol und der Schweiz, um ihnen unter dem Titel „Im Grenzland zu Hause“ die Grenzregionen Steiermark, Kärnten und Burgenland vorzustellen – mit eigens gestalteten Filmsequenzen, historischem Hintergrund, musikalischer Belebung und exquisiten bodenständigen kulinarischen Einblicken.

Im Kunsthaus erschloss der Grazer Philosoph Peter Strasser in gedanklich und sprachlich sprühendem Reigen Grenzbegriffe in der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte. Eines seiner Resümees: „Die Kultur des Westens ist eine der Übergänge, oder aber sie wird zerfallen.“ Valentin Inzko, der Hohe Repräsentant in Bosnien und Herzegowina, berichtete von seinen persönlichen Erfahrungen sowohl privat als auch als Diplomat mit Grenzen und erzählte auch, wie die Grenzen zwischen den Volksgruppen und Religionsgemeinschaften in seinem aktuellen Wirkungsgebiet allen offiziellen Gegensätzen zum Trotz doch im alltäglichen Leben erfreulich selbstverständlich überbrückt werden. Zum Abbau störender Grenzen braucht es beides – politischen Druck der internationalen Staatengemeinschaft und zivilgesellschaftliches Engagement, persönliche Initiative. Stanko Gerolj und Ivan Stuhec von der Universität Ljubljana teilten auf der Slowenien-Exkursion Ihre Erfahrungen und Perspektiven zu den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in ihrem Heimatland. Im Themenfeld der Religion beeindruckte dabei vor allem ihre differenzierte Darstellung über die Rolle der Kirche. Die Altstadt von Maribor, das volkstümliche Wallfahrts-Heiligtum Ptujska Gora sowie das vornehme Weingut der Admonter Benediktiner Dveri Pax bildeten einen überaus ansprechenden Rahmen für diese Ausführungen.

„Backstage ist die eigentliche Bewährungsprobe“ – eine der vielen Einsichten, die das Referat des Innsbrucker Bischofs Hermann Glettler überzeugend vermittelt hat, besonders für den Bereich von Grenzüberschreitungen im kulturellen und interreligiösen Bereich. Welch entgrenzendes Potenzial im christlichen Glauben steckt, zeigte zudem seine packende Führung durch die Grazer Kirche St. Andrä. Alle bisherigen Erkenntnisse konnten dann einen Halbtag lang in verschiedenen Foren fachspezifisch vertieft werden. So arbeitete der ehemalige Profifußballer Gilbert Prilasnig zusammen mit Beatrix Arlitzer und Thomas Jäger mit einer interessierten Gruppe heraus, wie durch Fußball, insbesondere den „Homeless Worldcup“, Grenzen zum persönlichen Fortschritt überschritten werden, während Maria-Elisabeth Dohr unter der Perspektive von Nähe und Distanz im Klassenzimmer das Setzen und Achten von Grenzen reflektierte. Silke Strasser stellte die Lern-Bars der Caritas als Orte sozialer Entgrenzung vor, und Fred Ohenhen leitete zum Ent-Lernen von Fremdenfeindlichkeit an. Andere Interessierte konnten sich von Johannes Rauchenberger in die Welt der Kunst als Ort der Entgrenzung führen lassen, die auch eine spannende Begegnung mit drei Preisträgern des Kunstpreises der Diözese Graz-Seckau inkludierte. Erwartbare und unerwartete Grenzen in interreligiöser Zusammenarbeit schließlich wurden mit Bassem Asker, Harald Meindl und Markus Ladstätter reflektiert.
Im schlichten und gleichzeitig sehr feierlichen Gottesdienst mit Diözesanbischof Wilhelm Krautwaschl wurde jene Entgrenzung symbolisch sichtbar, die jede christliche Liturgie mit ihrem Bezug zum Transzendenten ausmacht, noch einmal geerdet durch den anschließenden, sehr kommunikativen Empfang. Gunda Werner (Dogmatik, Universität Graz) zeichnete in ihrem Referat anschaulich nach, wie die dogmatischen Grenzziehungen in der Formulierung christlichen Glaubens vor allem im 19. Jahrhundert verengt wurden – und zeigte damit eine wichtige Ursache für jene Sackgassen auf, in welchen sich so manche gegenwärtigen theologischen Diskurse bewegen. Den inhaltlichen Schlusspunkt setzte ihre Kollegin Monika Prettenthaler von der Religionspädagogik, die in ihrem Beitrag den Fokus vor allem auf jene Bereiche des Religionsunterrichts gerichtet hat, die im personalen, kommunikativen Feld liegen, also jenseits der dort anzusprechenden Inhalte.

Insgesamt hat diese Tagung nicht nur in ihren Inhalten, sondern vor allem auch durch ihre Konstellation einen erfrischend spürbaren Beitrag zur Entgrenzung geleistet. Für die meisten ausländischen Teilnehmenden wurde anschaulich spürbar, warum es sich durchaus lohnt, die Staatsgrenzen nach Österreich zu überschreiten, wie auch umgekehrt die österreichischen Teilnehmenden die Bereicherung durch Perspektiven aus dem Ausland erfahren konnten. Der Grenzübertritt nach Slowenien hat für alle das religionspädagogische Handeln im konkreten gesellschaftlichen Kontext noch einmal in einem neuen Licht gezeigt. Die Vielfalt all dieser Facetten ist vor allem durch das bewährte Miteinander des DKV und der KPH Graz möglich geworden – aber auch durch die Unterstützung wichtiger Partner, deren Mitwirken neben den eingebrachten personellen und finanziellen Ressourcen auch ein deutliches Signal für die Bedeutung von Religion für die gesellschaftliche Entwicklung darstellt. In diesem Sinne ein Danke an die Stadt Graz, die Diözese Graz-Seckau und ihr Amt für Schule und Bildung, ComUnitySpirit Graz, die Pädagogische Hochschule Burgenland, das Amt für Schule und Katechese der Diözese Bozen-Brixen sowie dem Tagungsteam und allen Mitwirkenden und Teilnehmenden.

(Markus Ladstätter, Hans Neuhold und Christian Brunnthaler)